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NATUR und KULTUR


Nach konservativer Anschauung ist Kultur der Gegensatz zu (unkultivierter)Natur = Wildnis, Ausgeliefertheit(an Wetter, Raubtiere, Naturkatastrophen, Hunger,etc.), Aggressivität und Ungezähmtheit.
Der Mensch hat sich, durch Unterwerfung der äußeren und Überwindung der inneren Natur aus seiner Abhängigkeit zu ihrem Beherrscher entwickelt.
Mit Hilfe von Technologie (Werkzeuge, Maschienen, Computer), sozialer Organisation (Gesellschaft) und moralischen Werten (Religion, Philosophie) hat er sich zu immer gewaltigeren wirtschaftlichen, kulturellen und zivilisatorischen Höhepunkten katapultiert. Der Grund dafür ist seine Intelligenz, sein Bewusstsein, sein Geist – der göttliche Funke, verliehen von einem über Natur und Kosmos stehendem Schöpfergott.
Nach der Profanisierung des „Göttlichen“ in ganz irdischen Potentaten mit ihren Machtapparaten fand die Mehrheit des unterdrückten und ausgebeuteten Volkes diese Kultur und Zivilisation nicht mehr so verehrungswürdig.
Auch die vielen lärmenden und stinkenden Fabriken, die Zusammenpferchung in immer größeren Siedlungen sowie die immer umfassendere Reglementierung des Alltags war vielen unheimlich und zuwider.
Als dann Charles Darwin und viele andere vor, mit und nach ihm erkannten, dass der Mensch kein kleiner außerirdischer Gott ist, sondern in unendlich langen Zeiträumen sich über eine identifizierbare „Ahnenreihe“ aus der Tierwelt entwickelt hat, wurde nun die Natürlichkeit des Menschen, seiner urgeschichtlichen gesellschaftlichen Organisation sowie seines Fühlens und Denkens idealisiert.
Nicht nur in der Kunst – Musik, Malerei und Literatur gab es eine Rückbesinnung auf ungekünstelte und naturwüchsige Inhalte, sondern auch in der Politik erfolgte mit Demokratie, Gleichberechtigung der Bürger und Sturz der Monarchen ein Rückgriff auf (vermeintliche) Stammestraditionen der unzivilisierten europäischen Ahnen, der Kelten, Germanen und Slawen.
Nach den Weltkriegen folgten weitere Wellen von Natursehnsucht und –verehrung als Reaktion zu der sich jetzt exponentiell steigernden Technologisierung; beides hält weiterhin an.

Was aber ist nun Natur und die aus ihr entstandene Kultur des Menschen ?

Die Natur unterteilt sich in unbelebte – der Kosmos mit unserem Planeten Erde, die Physiosphäre und belebte - alle Lebewesen, Bakterien, Algen und Pilzen, Pflanzen und Tiere inklusive Mensch - die Biosphäre. Natur ist alles von selbst entstandene, nicht vom Menschen gemachte.

Kultur ist alle Aktivität und deren Produkte, die nicht von genetisch fixiertem Verhalten, sondern von einem lernfähigen und sich selbst bewussten Gehirn gesteuert wird. Dieses Organ ist in langen Schritten in Quantität und Qualität evolutionär entstanden, bei den Säugetieren schon sehr lernfähig, bei den Primaten bereits an der Schwelle der Selbstbewusstheit und beim Menschen das ausschlaggebende Instrument, die biologische Grundlage für eine neue Dimension der Natur – die Mentalsphäre.

Inhalt dieser Mentalsphäre sind Gefühle, Intellekt, Phantasie und Reflexion. In ihr verläuft auch eine ständige Entwicklung der Formen und Inhalte, eine kulturelle Evolution ( bei Auswirkungen auf Nutz-Pflanzen und Zucht-Tiere eine biokulturelle Koevolution), aber ungleich schneller als die biologische.
Ihre Speicher- und Steuereinheit kann man analog zu den Genen die „Meme“(kleinste Vorstellungsinhalte) nennen, die von den sie erzeugenden Trägern durch Kommunikation weitergegeben, ausgetauscht, neu kombiniert und variiert werden und nach ihrer Brauchbarkeit im evolutionären Anpassungsprozess verstärkt oder selektiert werden. Mem(kom)plexe entstehen und dienen zur Herstellung, Bedienung und dauernden Verbesserung technischer Geräte und Vorrichtungen, zur Gestaltung sozialer Beziehungen sowie zur Erklärung und Handhabung aller Phänomene der umgebenden physischen, biologischen und der sich ständig weiterentwickelnden kulturellen Umwelt wie der eigenen Innenwelt des Fühlens, Wollens und Denkens und auch der künstlerischen Gestaltung oder entspannenden Unterhaltung.
Mentale Tätigkeit dient genauso wie biologisches Verhalten der Sicherung, Anpassung und Ausbreitung des Lebens der Träger, die sich ihrer bedienen können. Es gibt in ihr ebensolche Funktionen: Einverleibung von Nahrung, Schutz vor Vernichtung, Austausch und Weitergabe der eigenen Erbanlagen, Vermehrung, Konkurrenz und Kooperation wie in der Biosphäre und ebenso sich weiterentwickelnde Strukturen, die den jeweiligen Anforderungen entsprechen müssen und der biologischen Evolution analog auch immer größer, dichter und effektiver werden, oft aber wieder durch Natur – und hier auch Kulturkatastrophen auf ein niedrigeres Niveau zurückgeworfen werden.
Ebenso entstehen entsprechend den Biotopen auch hier von Standort und Klima geprägte „Mentaltope“, wobei aber die ökonomische Grundlage (Sammeln, Jagd, Ackerbau, Weidewirtschaft, Handwerk, Krieg, Industrie, Informatik), die durch die technischen Fähigkeiten von Kulturträgern weit vielseitiger ist, wie auch die Kommunikation mit benachbarten Kulturen noch entscheidender für deren Ausformung sind.
Ebenso gibt es in einer Kultur wie in einem Genom komplexe Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Bestandteil(grupp)en, neben aktiven auch stillgelegte Memplexe als Spuren vergangener Entwicklungsphasen, die aber auch in neuem Zusammenhang wieder aktiviert werden können.

Was aber bedeutet nun „vormenschliche“, gen-gesteuerte Natur für das überwiegend „mem“- gesteuerte Kulturwesen Mensch?

Einerseits wird sie als unwürdige Phase der Abhängigkeit, Bedrohtheit und Gefangenschaft verachtet und gefürchtet, andererseits als verlorenes Paradies der Harmonie mit der pflanzlichen Um- und der tierischen Mitwelt verehrt, in einer nostalgische Sehnsucht nach einer unmündigen und dadurch verantwortungsfreien „Kindheit“.
Natur ist wohl beides und für das um die Mentalsphäre erweiterte Naturwesen Mensch ist nicht ein entweder/oder sondern eine passende Mischung aus ursprünglicher und gestalteter Natur innerhalb und außerhalb der Person notwendig.
Genauso wie eine Rückkehr in die Vergangenheit sinnlos wäre(es würden nur die selben Probleme wieder auftreten) und auch unmöglich ist (mit heutigem Wissen und Fühlen in früheren Umständen wäre es nicht dasselbe; um nur hundert Jahre zurückzugehen müssten 70% der Weltbevölkerung verschwinden), ist ein kritischer Rückblick, nicht nur intellektuell sondern auch gefühlsmäßig sicherlich hilfreich zur umfassenderen Bewusstwerdung der Gegenwart und für eine realistischere Einschätzung und Anstrebung zukünftiger Entwicklungen.

Die Beschäftigung mit der Geschichte des Kosmos, der Pflanzen und Tiere und der menschlichen Gesellschaft, das aktive Nacherleben früherer Kulturphasen kann diesem „Ankommen in der Jetztzeit“ dienen, sowie der Herstellung des immer wieder neu zu suchenden Ausgleichs zwischen Natur und Kultur.
Ich finde es hilfreich, dass man in der heutigen Zeit einer andauernden, rasant verlaufenden technologischen (R)Evolution seinen individuell verschieden notwendigen Ausgleich in Sport, Hobby, Abenteuer oder auch nur virtuell in Film, TV und Computer finden kann; dass man wie ein urgeschichtlicher Nomade regelmäßig (in Urlaub) reisen, mit Pfeil und Bogen wie ein Steinzeitjäger hantieren , wie ein Ackerbauer (modellhaft) einen Garten betreuen oder in Form eines Hobbys verschiedenste historische Handwerkstechniken ausführen kann.
Ebenso gibt es Nationalparks für unberührte, sich selbst überlassene Natur, Förderung für die Erhaltung naturnaher Kulturlandschaften (biokulturelle Koevolution) und Museen für die meisten historischen Kulturphasen mit ihren bewahrten oder rekonstruierten Objekten.



Naturfeindliche Technik:
Technik ist wie die Natur weder freundlich noch feindlich. Beide sind effektiv zur Erreichung eines Ziels. Natur zur Ausbreitung des biologischen Lebens, Technik zur Ausbreitung menschlichen Lebens.
Übernutzung oder Zerstörung der eigenen Lebensgrundlage führt zu regulierenden Krisen, kommt aber auch bei Pflanzen und Tieren vor. Oft aber wurden Lebensformen großflächig anscheinend durch kosmische oder geologische Katastrophen zerstört, oder allein durch die Dynamik der Evolution selbst.(KT-Grenze, PT-Krise)

Krieg und Frieden:
Krieg ist keine menschliche Erfindung. Konkurrenz, Rivalität, Raub und Mord sind Grundprinzipien des mikroskopischen, pflanzlichen und tierischen Lebens ebenso wie Zusammenschluß, Kooperation und Fürsorge.
Die Biosphäre teilt sich in „Produzenten“(die einzigen relativ„friedlichen“ Lebewesen), Konsumenten (Pflanzenfresser, Raubtiere) und Destruenten (Bakterien und Pilze). Friede im menschlichen Kontext ist wohl eher zu vergleichen mit der Aussetzung der Abstoßungs(Autoimmun-)reaktion beim Zusammenwachsen größerer (sozialer) Organismen. Friede im Innern hat sich auch immer gut vertragen (oder sogar gesteigert) mit Krieg gegen äußere Feinde.

Evolutionskritik:
Nach der Entdeckung der Evolution im 19.Jhdt. folgte nach den Weltkriegen eine Ablehnung der Idee einer zielgerichteten Entwicklung allen Lebens und so auch der Kultur. Zerstörung und Elend könnten kein positives Ziel einer Entwicklung sein.
Das ist ein Trugschluß: Evolution ist eine Entwicklung in Richtung Ausbreitung, Verdichtung und Effektivität, wie im Leben schaffen so auch im Töten.


Bernhard Greiner