In der natur wie in der menschlichen kultur gibt es konkurrenz und verdrängung, täuschung, betrug, diebstahl, ausbeutung und raub, vernichtung und mord.
In natur und kultur gibt es fürsorge, kooperation und zusammenhalt.
Aber im kreislauf der natur hält sich beides die waage, während die menschliche kultur geprägt ist durch einen überhang von fürsorge und zusammenarbeit und die eindämmung von egoistischen taktiken untereinander. .
Allerdings sind die früchte der kooperation einer gruppe ständig bedroht durch heimlichen betrug oder offene ausbeutung durch eigene mitglieder oder fremde aggressoren..
Werden die mehrerträge der kooperation nicht halbwegs gerecht verteilt und gegen betrüger geschützt, geht diese zugrunde.
Verwandtschafts-und weltanschauungsgruppen, wirtschaftsbetriebe und staatliche gebilde wachsen mit steigender kooperation und verfallen mit steigendem betrug.
Jeder mensch ist zu beiden verhaltensformen von natur aus fähig. Daher sind die kulturellen verbesserungen immer durch die natürlichen, egoistischen reflexe, besonders in krisensituationen bedroht. .
Je wohlhabender eine kooperationsgemeinschaft wird, umso größer wird die verlockung und bedrohung, sie auszubeuten.
In einer zivilisierten welt ist die häufigste taktik dabei nicht die verpönte offene bedrohung, sondern verschleierung, täuschung und lüge.
Die kultur muß versuchen, die offene und besonders die verdeckte bedrohung durch die naturinstinkte auszuschalten oder zumindest einzudämmen. .
Daher ist es unverständlich, wenn menschen, die die vorteile einer halbwegs gesicherten kultur genießen, wie in den westlichen industriestaaten, die natur verehren. Sie sollten ihr gehörig mißtrauen und die kultur verehren.
Das wichtigste werkzeug der kultur ist das bewußtsein: .
das kulturelle bewußtsein schafft orientierung und ausbildung. Sie vermittelt das wissen über technische, wirtschaftliche und soziale werkzeuge und verfahren, um in der größtenteils bedrohlichen natur überhaupt zu überleben und ein zunehmend besseres leben führen zu können.
Die natur ist nicht böse, sie ist aber auch nicht gut. .
Sie ist effektiv in aufbau und erhaltung einer pflanzlichen und tierischen lebenswelt, aber grausam in ihren methoden. Alles was sie erschafft, vernichtet sie auch wieder und besonders alles tierische leben kommt zwangsweise aus der schädigung pflanzlichen oder dem tod anderen tierischen lebens.
Spricht man von „mutter“ natur, spricht man von umfassender kindestötung und geschwistermord als ernährungsgrundlage. .
Heidnischen kulturen war das bewußt und sie haben sich dem gefügt, zivilisiertere geistige konzepte wie das christentum und andere hochreligionen lehnen es ab. .
Moderne menschen, die als „neuheiden“ und „freunde der mutter erde“ vor allem gesellschaftlichen zwängen entkommen wollen, täuschen sich, weil sie die natur nur als eine art gepflegte und gesicherte parkanlage kennen. Solcherart gestaltete und „entschärfte“ natur aber, wie sie für landwirtschaft und erholung besteht, ist eine kulturelle schöpfung und leistung.
es ist ein mißverständnis, den „ungezähmten“ kapitalismus abzulehnen, aber die natur zu verehren.
Ungebremster kapitalismus ist natur: konzentration des reichtums bei immer wenigeren entspricht mathematisch berechenbar der massenverteilung in natursystemen z.b. wasserdurchlaufmengen in flußsystemen von den quellbächen bis zur mündung ins meer.(pareto-gesetz) .
auch die unvermeidbaren börsencrashes sind, wie stürme, überflutungen, waldbrände, erdbeben und vulkanausbrüche integraler, natürlicher bestandteil und dienen oft nachweislich sogar der erhaltung des systems.
Demokratie hingegen ist kein naturphänomen. gleiche chancen gibt es in der natur nur dort, wo es nichts zu holen gibt. In steppen besteht die pflanzenwelt aus halbwegs gleichwertigen kräutern und gräsern. Kaum gibt es bessere bedingungen, mehr nährstoffe und besseres klima, entstehen sträucher und dann bäume, die erstere überschatten und verdrängen, indem sie licht „abschöpfen“ und nährstoffe abziehen und bei sich konzentrieren. .
Im wald sind die produktiven teile, die blätter, total unselbständig und von riesigen, übermächtigen „macht“strukturen, den baumstämmen, abhängig. „bruder“ baum ist ein kapitalistischer konzern.
Alle kulturellen konzepte von kooperation, frieden und freiheit sind ständig bedroht von der schleichenden wiedervereinnahmung durch die natur. Sind sie sich dessen nicht bewußt, sind sie von vorneherein zum scheitern verurteilt: .
in der psychoanalyse geht es um die befreiung von hemmungen und um das zulassen von gefühlen und trieben. Geschieht das mit skeptischer kontrolle, wie in der klassischen analyse, ist es gut. Wird die, von meist kulturellen hemmungen zu befreiende, seelische natur aber unkritisch als immer positive „bio“-energie verehrt, führt das zu noch größerer unterdrückung. .
Geht es um politische oder religiöse befreiung wird fast immer die sich erfolgreich befreiende gruppe oder gesellschaftsschicht zum neuen machthaber und unterdrücker. Ob konfession, nationalstaat, liberales bürgertum, oder proletariat, die natürlichen mechanismen sind meist stärker als aller gute wille, kontrolle, selbstkritik oder basisdemokratie.
Letzlich wollen menschen nicht ausschließlich nach der natur leben, weil sie auch zerstörerisch ist, aber auch nicht ausschließlich nach der kultur, weil sie immer wieder, besonders von der nachwachsenden generation, zu einschränkend erlebt wird. .
In einem vorwiegend natürlich geprägten umfeld entsteht kultursehnsucht, in einem stark kulturell gestalteten milieu dagegen naturverehrung. .
Gibt es eine endgültige lösung des problems, einen dauerhaften ausgleich, ein „ende der geschichte, oder nur ein ständiges, hilfloses, meist schmerzhaftes hin und herpendeln zwischen den polen?
Sämtliche lebensprozesse werden, wie auch die physikalischen phänomene, ursprünglich von der sonnenenergie angetrieben. Auf dieser somatischen basis sind in den tierischen organismen hunger, lust und angst die wesentlichen antriebskräfte. .
Instinkte sind eine erste, sehr starre art der lenkung zwecks mehr effizienz, gedankliche konzepte - erlernbar, austauschbar, wandelbar, anpassungsfähig- ein viel erfogreicherer weg, probleme im technischen, wirtschaftlichen und sozialen bereich immer besser zu bewältigen.
aber sie sind trotzdem nur sekundäre beweggründe und werden besonders im sozialen und ethischen bereich kaum akzeptiert, wenn sie nicht durch eigene schmerzhafte erfahrung verstanden werden. Werden sie das nicht und schränken sie die grundtriebe zu sehr ein, werden sie umgangen oder weggefegt. .
So wird wohl immer wieder, in jeder generation und in jedem zeitalter, der kampf zwischen natürlichem antrieb und kultureller lenkung von neuem ausgefochten.
Angesichts dieser sachlage ist es auch kein wunder, daß die moderne, optimistische weltanschauung nur mit dauernder überschwemmung durch neue technologien und materielle konsumgüter funktioniert, da sie dem leiden an der natur wie an der kultur und der diskrepanz zwischen beidem keinen sinn geben will und kann. .
Es braucht eine neue philosophie, die, wie ursprünglich die naturkulte, später die buchreligionen und die antiken philosophien weltweit das für die heutige zeit leisten kann, denn der banale fortschrittsglaube, der neben technischer „allmacht“ ebenso auf unbeschränkte soziale und ethische lösungskompetenz setzt, wird, wie schon in den weltkriegen, vielleicht bald in klima- und migrationskrisen neuerlich scheitern.
Bernhard greiner, 2016
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