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Matriarchat und Patriarchat

Aktuell ist die Interpretation der Keltenzeit, besonders der Hallstadtperiode (700 v. Chr.) als „matriarchale“ Phase aufgrund der entdeckten (auch) weiblichen Prunkgräber.



Eine bedeutende moderne Matriarchatsforscherin, Heide Göttner-Abendroth, hat in mehreren Bänden umfangreiches ethnographisches Material sowie Mythen und Märchen von allen Kontinenten gesammelt und untersucht. Für sie steht fest, dass es weltweit eine matriarchale Phase der gesellschaftlichen Entwicklung gab, die weltweit mit der frühen Ackerbaukultur (in Europa „Bandkeramik“-ca. 5000 vuZ und Megalithkulturen- ca 3500 vuZ) verbunden war und dass sie später durch Kontakt, Migration und Invasion von kriegerischen Hirtenvölkern (Indoeuropäer, Mongolen, Araber, Berber) aus Steppen- und Wüstengebieten infiltriert, unterdrückt und schließlich gewaltsam vernichtet wurde.

Archäologisch kann man in Europa solche Bevölkerungsbewegungen ab der Kupferzeit (ca.2500 vuZ) gehäuft feststellen(Streitaxtkultur, Glockenbecherkultur). Weitere ähnliche Ereignisse sind als Urnenfelderwanderung (1300 vuZ), dorische Wanderung (ca. 1200 vuZ), Seevölkereinfall (ca. 1200 vuZ), Kelteneinfälle (ca 400 vuZ) und germanische Völkerwanderung (400 nuZ) bekannt, weiters die immer wieder auftretenden Einfälle von Reitervölkern wie Skythen(600 vuZ), Sarmaten (300 vuZ), Hunnen (ca 400 nuZ), Awaren ( ca 600 nuZ), Magyaren (ca. 900 nuZ) und Mongolen (ca. 1250 nuZ).
Die Kelten, mit ihrem ersten Auftauchen um 800 vuz, nach den Umwälzungen der Urnenfelderzeit, sind damit eindeutig bestenfalls eine Mischkultur aus Einwandern und größeren oder kleineren Teilen der vorherigen Einwohner, die außerdem seit der Megalithzeit schon mehrfach fremden Einflüssen in Kupfer- und Bronzezeit(2000bis800vuZ) ausgesetzt waren.
Natürlich können sich auch nach einer Eroberung in folgenden friedlicheren Phasen Reste der besiegten Kultur behaupten oder auch in transformierter Form wieder erstarken, was bei den Kelten der Fall gewesen sein dürfte.
Aber unzweifelhaft sind schon die frühen Kelten der Hallstattkultur Nachfahren indoeuropäischer Invasoren mit kriegerischer, patriarchaler Herrschaftsstruktur. Allerdings waren die Machtverhältnisse in einer friedlicheren und auch durch die neue Eisentechnologie prosperierenden Phase so gefestigt, dass Herrscherdynastien entstanden, bei denen auch die weiblichen Mitglieder ebenso wie die Kinder von Geburt an „fürstlichen“ Status genossen.

Von Matriarchat oder Frauenherrschaft bzw –dominanz war diese Zeit aber sicher genau so weit entfernt wie etwa die österreichische Monarchie zu Zeiten Maria Theresias.


Was jedoch in den Untersuchungen vieler jungsteinzeitlicher und späterer, auch noch heute bestehender Restkulturen auf der ganzen Welt, durch Fr.Göttner-A. besonders hervortritt , sind wesentliche Unterschiede im gesellschaftlichen Gefüge und in der Vorstellungswelt: So wird beschrieben, dass matriarchale, steinzeitliche Ackerbaukulturen in Geschwistergruppen zusammenlebten. Das heißt, es lebten in einem Haushalt Brüder und Schwestern, die Kinder der Frauen sowie deren Enkel. Der Beitrag der Zeugung durch den Mann zur Empfängnis eines Kindes war noch nicht erkannt. Daher empfanden die Männer die Kinder ihrer Schwestern auch als die ihnen zugehörigen.
Für so große Gruppen brauchte man auch große Häuser, die Sippenhäuser, zum Beispiel das Langhaus der mitteleuropäischen Bandkeramikkultur(5000 v u Z) und der nordeuropäischen Trichterbecherkultur (4000 v u Z).
Sexuelle Beziehungen gab es mit Mitgliedern von Nachbarsippen: Die Männer des einen Langhauses hatten (auch wechselnde) Einzelbeziehungen zu Frauen eines Nachbarhauses. Sie besuchten sie in der Nacht. Diese Beziehungen, Besuchsehe genannt, werden als freizügig, unverbindlich und ohne Einfluß auf die materiellen Belange und die Kinder der Frau beschrieben. Eine Siedlung brauchte natürlich mindestens zwei Sippen. Diese Form bezeichnet man als Gruppenehe.

Diese Umstände erklären einige seltsam anmutenden Vorstellungen und Irrtümer über die Vergangenheit:

  • Die matrilineare Erbfolge: Männer vererben ihre Güter oder Macht an die Kinder ihrer Schwestern, nicht an ihre eigenen.
    • Tatsächlich empfanden die Männer ihre Schwesterkinder als ihnen zugehörig, waren deren (Ä)Eltern im gemeinsamen Haushalt und sie wussten ja noch nicht, dass sie mit den Kindern ihrer Sexualpartnerinnen näher verwandt waren. Man glaubte überhaupt, dass durch die Frauen die früheren Sippenmitglieder, die Ahnen, wiedergeboren würden.

  • Brüder und Schwestern heirateten und hatten eine inzestuöse Verbindung, betrieben also Inzucht.
    • Tatsächlich waren Brüder und Schwestern die Grundlage der Haushalte. Sie teilten alles, nur nicht die Sexualität.

  • Es gab Vielmännerei und Vielweiberei
    • Tatsächlich gab es die Gruppenehe. Dabei konnte es auch vorkommen, dass von einer Sippe nur mehr eine Person übrig blieb und mehreren der Partnersippe in Besuchsehe gegenüberstand.

Man kann sich lebhaft vorstellen, welcher Umsturz folgte, als, wahrscheinlich zuerst von viehzüchtenden Hirtenstämmen, die Bedeutung der Befruchtung für Empfängnis, Vererbung und Verwandtschaft entdeckt wurde und daraufhin die Familie mit den Sexualpartnern in Paarehe als Grundlage der Gesellschaft entstand;
weiters welche Verwirrung entstand, als beide Vorstellungswelten mit den auf ihnen basierenden Verwandtschaftsverhältnissen miteinander konkurrierten und kollidierten und verschiedene Mischformen bildeten.
Es ist eine wesentliche Tatsache, dass hauptsächlich die ökonomischen Bedingungen, das heißt die Umstände des existentiellen Nahrungserwerbs, die gesellschaftliche Organisation sowie die Vorstellungswelt prägen.

Daher bringt die erste Ackerbaukultur, die eine Gartenbaukultur mit der Harke (ohne Pflug) war, die wie das Sammeln den Frauen der Urgesellschaft zugeschrieben wird, dadurch eine Aufwertung der Weiblichkeit, weil sie im Lauf der nacheiszeitlichen Klimaentwicklung einen immer größeren und ausschlaggebenden Anteil an der Nahrungsversorgung im Vergleich zur Jagdbeute der Männer ausmachte.


Ackerbau war der Jagd auch überlegen, weil er größere Gruppen ermöglichte, die sich auch schneller vermehrten als Jägerstämme. Diese noch dazu sesshaften Bauernsippen verdrängten leicht die jagenden, nomadisierenden Vorbewohner aus fruchtbaren Gebieten, soweit nicht diese selbst ihre wirtschaftliche Grundlage modernisierten.
All das führte sicher zu einer Vorrangstellung der Frauen als der hauptsächlichen Akteurinnen der Ernährung und der vermeintlich alleinigen der Vermehrung(bzw. Wiedergeburt), sowohl in ökonomischer wie gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht.

Laut der Matriarchatsforschung nach Göttner-A. kam dann der „Sündenfall“. In der tödlichen Hitze und Trockenheit (DeMeo-Saharasiatheorie) der durch Klimaveränderung (Ende des nacheiszeitlichen Klimaoptimums) wachsenden Wüsten verrohten die Männer der Hirtenvölker in ständigem Überlebenskampf gegeneinander und erfanden neue Kriegstechniken(Pferd als Reittier, Reflexbogen; Eisentechnologie für Waffen und Rüstung), mit denen sie die friedlichen Ackerbaudörfer überfielen und ausraubten oder gleich eroberten und wie eine Herde Nutztiere beherrschten und ausbeuteten.

Vieles daran mag zutreffen, aber eines wird hier, denke ich, vergessen:
Neben Technologie und Ökonomie gibt es einen weiteren wesentlichen Faktor der Entwicklung und der durch sie entstehenden Strukturen – die Dichte. Hier Bevölkerungsdichte, Siedlungsgröße und Siedlungsdichte sowie Produktivität.
Schon bei der Verdrängung der Jäger durch die Bauern spielte die durch Ackerbau erreichbare und ernährbare Bevölkerungsgröße und –dichte (ca.10mal so hoch wie Jäger) eine entscheidende Rolle. An dem Punkt, als alle fruchtbaren Ackerbaugebiete von Bauern besiedelt waren und die mit dem damaligen Stand der Ackerbautechnik maximale Bevölkerungsdichte erreicht war, stießen diese friedlichen Gruppen, die vorher in ihrem ständigen Wachstum sich immer in neue noch „unbesiedelte“ Gebiete ausbreiten konnten plötzlich und immer häufiger aufeinander und es kam zu Konflikten um Resourcen.
Außerdem erzeugte die erreichte landwirtschaftliche Produktivität, die schon einen gewissen Überschuss erwirtschaftete einen Anreiz für kriegerische Nachbarstämme, sich anstelle eigener Arbeit durch Erbeutung fremder Erzeugnisse zu ernähren.
Steigende technische Spezialisierung im Handwerk und der Austausch dieser Produkte durch Handel schufen zusätzlich neue „Berufe“, die meist von Männern ausgeübt wurden.
Waren bisher die „weiblichen“ Eigenschaften wie Fruchtbarkeit, Vermehrung und Versorgung für das Gedeihen der Gemeinschaft entscheidend, so wurden es in einer enger und komplexer werdenden Welt zunehmend aggressive Behauptung und Verteidigung gegen andere Gruppen, von jeher die Domäne der Männer.


Am Wendepunkt von Vollbesiedelung, Überschussproduktion und Arbeitsteilung wurde die Gesellschaft sowohl horizontal als auch vertikal vielschichtiger und es entstand Konkurrenz und Herrschaft.


Dabei haben die Hirtenvölker mit ihrer überlegenen Kriegstechnik und Kampfübung sicher ordentlich mitgemischt, man hat aber wohl notgedrungen auch gerne von ihnen gelernt.
Jedenfalls wurden die Zwischen- und Außenbeziehungen der Gruppen für ihr Überleben und Gedeihen entscheidend, somit ihre Akteure, die Männer.
Somit gab es keinen Übergang von einem harmonischen Matriarchat zu einem kriegerischen Patriarchat durch irgendeinen „mystischen Einbruch des Bösen“ , sondern die Bedingungen für ein erfolgreiches Bestehen einer Gesellschaft verschoben sich aufgrund des Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstums, das den Punkt der Vollbesiedelung und Selbstversorgung überschritten hatte, so, dass anstelle „weiblicher“ Stärken nun „männliche“ Eigenschaften in den Vordergrund traten.

Zu einem Ausgleich der Geschlechterpolarität kam es dann erst wieder in friedlicheren Phasen von „Zivilisation“, in denen Konflikte zwischen den Kontrahenten eher durch Absprachen und Verträge gelöst wurden und eine größere, parteienübergreifende, gemeinsame Struktur (Königtum, Staat, Staatenbund) zur Friedenserhaltung gefunden wurde; zuletzt nach den Weltkriegen in der UNO mit der Menschenrechtserklärung

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Auch weiterhin können friedliche Verhältnisse mit steigender Gleichberechtung zwischen gesellschaftlichen Gruppen, eben auch den Geschlechtern, nur erreicht und erhalten werden durch den Ausbau von „Zivilisation“ und nicht durch die Verherrlichung oder Verteufelung diverser tatsächlicher oder fiktiver Phasen der Vergangenheit.

Interessant in der Matriarchatsforschung sind auch die Beschreibungen von archaischen Gesellschaften, die das Geschlechterproblem auf überraschende Weise gelöst haben (1. Weltkongress für Matriarchatsforschung 2003, Dr. Shanshan Du):

Untersuchte Gesellschaftsmodelle mit Geschlechtergleichheit:

Geschlechter – Komplementarität / I(g)bo, Südwestnigeria. Betont wird die Verschiedenheit der Geschlechter, aber auch ihre wechselseitige Abhängigkeit und Ergänzung. Getrennte soziale Organisationen für Männer und für Frauen mit je einem König und einer Königin an der Spitze. Jedes Geschlecht baut zum Beispiel eine andere Getreidesorte an.

Geschlechter – Bedeutungslosigkeit / Vanatinai, Neuguinea; Okinawans, Japan. Männer und Frauen werden primär als autonome Individuen und Mitglieder einer kooperierenden Gemeinschaft verstanden. Keine sozialen und kulturellen Geschlechterrollen. Bilokaler Wohnsitz(junges Paar wohnt abwechselnd bei den Eltern des Mannes und denen der Frau). Gemeinsame Jagd und Kinderbetreuung bei den Aka/Kongo

Geschlechter – Einheit / Lahu, Südwestchina; Andamaninseln, Ecuador. Die Einheit und Zusammengehörigkeit der Geschlechter wird betont; z.B.: „Esstäbchen funktionieren nur zu zweit“, oder „Man braucht zwei Flügel zum Fliegen“. In der Religion sind alle Götter und Geister verschiedengeschlechtliche Paare. Jugendliche vor der Heirat werden als unreif und minderwertig betrachtet, die Ehe ist höchstes Ziel und Erfüllung, auch über das Leben hinaus gedacht.


Beispiele für noch heute bestehende, von Ethnologen beschriebene, matriarchale Völker: Minangkabao/Sumatra, Indonesien; Mosuo/Südwestchina; Arapesh/ Neuguinea; Irokesen des 19.Jhdts, Nordamerika, Goajiro-Arawak/Kolumbien und Venezuela, Yanomami.


Quellen:

H. Göttner-Abendroth, das Matriarchat I, II; Gesellschaft in Balance (Weltkongress für Matriarchatsforschung)
L.H.Morgan, Die Urgesellschaft