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Leben


Leben ist nicht gleich Natur. Leben ist die Ausnahme in der unbelebten Natur. Es wurde in diesem ganzen Kosmos der todbringenden Hitze und Kälte und Strahlung noch kein zweites Sonnensystem gefunden mit Leben. Auch in unserem gibt es nur diesen einen Planeten, auf dem, wie in einer zufälligen Nische Leben entstehen konnte. Und auch hier ist es begrenzt auf Klimazonen und Jahreszeiten zwischen den, obwohl schon wesentlich gebremsten, immer noch lebensfeindlichen Extremen von Glut und Eis. Dieses Leben ist nicht nur in der Ausdehnung sondern auch in der Dauer begrenzt durch den Tod; dabei ist der Tod schon etwas Besonderes, denn nur Lebendes kann sterben, nicht unbelebte Materie. Allerdings beinhaltet alles Leben Fortpflanzung, unter günstigen Umständen Vermehrung und Ausbreitung. Leben ist die kosmische Ausnahme, die seltene Nische, der zufällige Funke. Sein Raum ist der oft nur zeitweilige Zwischenbereich zwischen den Todesmächten, sein selbst erzeugter Luftraum, sein vom nackten Fels genagter Humus. Leben zeugt sich selbst und frisst sich selbst wieder, wächst zu großen Gebilden und wird wieder weggefegt. In der menschlichen Kultur wird das Leben sich seiner selbst bewußt, seiner Fülle und Kraft wie seiner engen Grenzen und Zerbrechlichkeit. Natur ist Starrheit, mit der kleinen ihr abgerungenen Ausnahme Leben und das wird ständig und gewiss vom Tod bedroht und von ihm beendet.

Leben ist chemisches Feuer, das pulsierende Wesen erzeugt: Pflanzen, passiv angeregt zu Fotosynthese oder Ruhe durch Licht und Nacht, Sommer und Winter und Tiere, im eigenen Pulsschlag des Herzens und Wechselzug des Atems aktiv. Beide im Kreislauf von Wachsen, Blühen, Fruchten und Vermehren. Seine Dynamik erzeugt immer größere und komplexere Einzelwesen, die aber vor jedem Neubeginn auf ihre kleinste Einheit, ein Samenkorn, eine Eizelle reduziert werden. In vielen Ästen breitet es sich aus und erfüllt alle bewohnbaren Gebiete, verliert alte und bildet immer wieder neue, wird immer wieder beschnitten und manchmal fast gänzlich ausgelöscht. Es erzeugt Tiere mit immer besseren Sinnen, schließlich mit höchster Eigenwahrnehmung – mit Bewußtsein. Das Bewußtsein ist eine neue Dimension des Lebens und seine Träger, die Menschen, werden Beherrscher alles Lebendigen. Diese neue, mentale Dimension des Lebendigen ist aus der organischen geboren und unterliegt den selben Rythmen und Gesetzen. Seine mentale Funktion ist Denken – Wahrnehmen, Reflektieren, Kombinieren und Fantasieren, seine organische Äußerung die Sprache, seine materiellen Produkte Geschriebenes, Gezeichnetes, Gebildetes und Gestaltetes in jeglicher Art und Größe. Das Bewußtsein gebiert Kultur in jeder Form von Technik bis Kunst, von Moral bis Unterhaltung.

Bernhard Greiner, 2015